Was ist (k)ein Arbeitsunfall? Grenzfälle im Blick

Rechtssicherheit | Arbeitssicherheit

Arbeitsunfall – oder einfach Pech? In dieser kleinen Frage steckt viel drin. Je nachdem verändern sich Pflichten und Rechte von Arbeitgeber*innen und -nehmer*innen deutlich. In manchen – teilweise skurrilen – Fällen überrascht die Antwort. Wir klären anhand von Beispielen über Grenzfälle und deren unterschiedlichen Regelungen im DACH-Raum auf.

Definition: Was ist ein Arbeitsunfall?

Ein Arbeitsunfall definiert sich als ein plötzliches, gesundheitsschädigendes Ereignis, das im Zusammenhang mit der Arbeit steht. Dazu gehören Verletzungen aller Art, von Prellungen beim Stolpern während der Arbeit bis hin zu sehr ernsten Maschinenunfällen. Ausserdem ist der Weg von der und zur Arbeit versichert – rutschen Mitarbeiter*innen im Winter am Arbeitsweg auf Glatteis aus, gilt dies als Arbeitsunfall.

Kein Arbeitsunfall ist im Umkehrschluss also alles, was «eigenwirtschaftlich» – soll heissen, in eigenem Interesse – passiert oder nicht als Unfall definiert werden kann. Ebenfalls werden «zufällig» auftretende Ereignisse, wie ein Herzinfarkt, nicht als Arbeitsunfall gewertet.

Trotzdem ist für Nicht-Juristen die Grenze oft unklar. Von der Pause über die Firmenfeier bis hin zum Home Office: Was steht in Zusammenhang mit der Arbeit? Und wie plötzlich ist plötzlich genug?

Ein Arbeitsunfall definiert sich als ein plötzliches, gesundheitsschädigendes Ereignis, welches im Zusammenhang mit der Arbeit steht.

#1 Auf der Toilette ausgerutscht

Nach einem langen Meeting ohne Pause eilt Lisa zur Toilette. Sie rutscht am frisch gewischten Boden im Bad aus und verstaucht sich den Knöchel. War das ein Arbeitsunfall?

Antwort: Der Toilettengang gehört zum Alltag an jeder Arbeitsstätte. Überwiegend gilt im DACH-Raum die Einschätzung, dass es sich dabei um keinen Arbeitsunfall handelt. Denn Lisa handelte eigenwirtschaftlich und nicht, um ihrem Unternehmen zu dienen. Allerdings sind solche Vorfälle immer wieder ein Thema in Streitfällen, die individuell betrachtet werden müssen. Insbesondere in Österreich gelten etwa Ausnahmen für Beamte.

Paradox ist: Wäre Lisa auf dem Weg zur Toilette ausgerutscht, wäre ihr Arbeitgebender jedenfalls in der Verantwortung, da es ein Wegunfall wäre.

#2 Auf der Betriebsfeier verletzt

Das 25. Unternehmensjubiläum ist in vollem Gange. Es wird gelacht, gegessen und getanzt. Zur Feier des Tages öffnet Betriebsleiter Alexander eine Flasche Sekt. In einem Moment der Unachtsamkeit fliegt der Korken beim Öffnen durch den Raum und mit einer Wucht direkt auf das rechte Auge von IT-Spezialistin Clara, worauf sie nur noch verschwommen sieht. Ein Privatunfall oder doch betrieblich relevant?

Antwort: In den allermeisten Fällen wird bei Unfällen auf der Betriebsfeier von einem Arbeitsunfall gesprochen. Voraussetzung ist, dass der/die Arbeitergeber*in Veranstalter*in ist, die Feier finanziert und es sich um eine Veranstaltung für alle Beschäftigten handelt. In Deutschland gilt als weiteres Kriterium, dass die Unternehmensleitung, beziehungsweise mindestens ein*e Organisator*in, an der Veranstaltung teilnimmt.

Anders sieht es in der Schweiz aus: Ein Arbeitsunfall kann hier nur vorliegen, wenn die Feier an einem Arbeitstag stattfindet. Knallen die Korken an Sonn- oder Feiertagen, handelt es sich um einen Freizeitunfall.

#3 Auf dem Betriebsausflug

Für den jährliche Betriebsausflug entscheidet sich das kleine Team eines Beratungsunternehmens zum Kanufahren. Teamleiter Stefan und Buchhalterin Sabine sitzen gemeinsam im Boot und navigieren geschickt durch die ersten leichten Stromschnellen. Doch dann erfasst das eine Welle das Kanu. Es kippt und beide landen im kalten Wasser. Stefan zieht sich eine schmerzhafte Schulterverletzung zu, während Sabine ihr Handy im Fluss versenkt. Ein Arbeitsunfall?

Antwort: Grundsätzlich gelten für Betriebsausflüge dieselben Bedingungen wie für Firmenfeiern. Im genannten Beispiel würde Stefans und Sabines Unfall daher voraussichtlich als Betriebsunfall eingestuft werden.

#4 Auf den Office-Hund gekommen

Hunde gelten als gut für das Büroklima. Sie können unter Umständen aber auch eine Gefahr darstellen. Beispiel: Auf dem Weg durch das Büro gerät Ivana zwischen den Hund Ihres Kollegen Michael und seinem Lieblingsspielzeug. Der Hund läuft zwischen Ivanas Beine und sie fällt hin. Ivana erleidet eine Prellung und ihr Sakko reisst.

Ein anderes Beispiel: Martina liebt Hunde und geht in ihrer Pause direkt auf Bürohund Jacky zu, um ihn zu streicheln. Dass dieser keine Lust darauf hat, ignoriert sie, bis Jacky nach ihr schnappt und Martina eine oberflächliche Schürfwunde davonträgt.

Handelt es sich bei den beiden Beispielen um einen Betriebsunfall?

Antwort: Beide Beispiele zeigen einen Unfall mit Bürohund – gängiger Expertenmeinungen nach ist aber nur eines davon ein Arbeitsunfall. Entscheidend ist hier wieder der Zeitpunkt und ob ein Zusammenhang zur Tätigkeit besteht. Ivana handelte in ihrer Arbeitszeit, Martina in ihrer Pause. Somit wird der Unfall zwischen Ivana und Michaels Hund in den meisten Fällen als ein Arbeitsunfall bewertet werden, der Vorfall zwischen Jacky und Martina jedoch nicht.

#5 Bei Kolleg*innen angesteckt

Winter ist Grippezeit. Leicht angeschlagen und hustend kommt Architektin Bianca zur Begutachtung auf die Baustelle und diskutiert dort angeregt mit dem Bauherren Martin sowie mehreren Handwerker*innen. Kurz darauf testet sie sich positiv auf Covid-19. Tage später stellt auch Martin über einen selbst durchgeführten Schnelltest fest, dass er sich angesteckt hat. Für ihn ist klar, dass die Infektion von Bianca stammen musste. Kann Martin dies als Arbeitsunfall geltend machen?

Antwort: Insbesondere während des Höhepunkts der COVID-19 Pandemie wurde die Frage laut, ob eine Infektion, die sich Arbeitnehmer*innen während der Arbeitszeit geholt haben, als Arbeitsunfall zählt. In Österreich und der Schweiz gilt eine Infektion nicht als Unfall, da das plötzliche Element fehlt. Daher kann es sich auch nicht um einen Arbeitsunfall handeln. Die Ausnahme ist, wenn es einen klaren Zusammenhang mit einem unfallartigen Ereignis, wie ein Nadelstich mit einer infizierten Nadel oder einem Insektenstich, gibt.

đź’ˇ Gut zu wissen:

In Deutschland dagegen kann es sich unter Umständen laut der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung um einen Arbeitsunfall handeln, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind:

  • Die Infektion ist symptomatisch.

  • Feststellung der Infektion durch medizinisches Fachpersonal

  • Die betroffene Person hat sich während der beruflichen AusĂĽbung angesteckt.

  • Die betroffene Person hatte intensiven Kontakt mit einer infektiösen Person.

  • Es handelt sich um keine Berufskrankheit.

Diese Bedingungen wären in Martins und Biancas Fall allerdings nicht erfüllt.

#6 Stolperfalle im Home-Office

Mona arbeitet zwei Tage die Woche von zu Hause aus. Auf dem Weg zur KĂĽche, um sich einen Kaffee zu machen, stolpert sie ĂĽber das Spielzeug ihres Sohnes und zerrt sich ihr Bein. Ist es ein Arbeitsunfall, auch wenn das Hindernis nichts mit der Arbeit zu tun hatte?

Antwort: Kurz gesagt, ja! Im Home-Office gelten laut den jeweiligen Unfallversicherungen im gesamten DACH-Raum dieselben Regeln wie im Büro oder auf anderen Arbeitsplätzen. Tätigkeiten die direkt mit der beruflichen Tätigkeit zusammenhängen sowie – wie in Monas Fall – der Weg dorthin und davon weg, sind unfallversichert. Was den Unfall verursacht hat, spielt dabei keine Rolle.

Allerdings zu beachten: Hätte der Arbeitgebende keine Kenntnis über das Home-Office – etwa, weil keine Home-Office-Vereinbarung vorliegt und Mona nach der Arbeit «nur schnell einige Unterlagen sichten» möchte – gilt dies als Freizeitunfall.

#7 Beim Geschäftsessen

Vertriebsleiter Max trifft eine Kundin beim Italiener, um eine potenzielle Erweiterung der Geschäftsbeziehung zu besprechen. Die Gespräche laufen gut, bis ein Kellner stolpert und Max die brühend heisse Suppe in den Schoss schüttet und das Gespräch abgebrochen werden muss. Ein Arbeitsunfall?

Antwort: Ein Geschäftsessen dient in der Regel betrieblichen Zwecken. Somit würden Expert*innen Max Unfall in der Regel als Arbeitsunfall einstufen. Wäre Max stattdessen mit seinen Kolleg*innen essen, wäre der Fall komplizierter. Hier würde es darauf ankommen, ob die Gesprächsthemen überwiegend privater Natur sind oder nicht und ob die Teilnahme für das Team verpflichtend war.

#8 Unfall in der (Döner-)Pause

Ivan holt sich in seiner Pause schnell einen Döner im Laden um die Ecke. Auf dem Weg zurück rempelt ihn ein unachtsamer Passant an und Ivan verletzt sich beim Sturz auf die Gehsteigkante den Kopf. Handelt es sich hier um einen Wegunfall?

Antwort: Obwohl Ivan auf dem Weg zurück zu seine Arbeitsstätte war, argumentieren Expert*innen, dass dies kein Wegunfall wäre. Aus zwei Gründen: Erstens, ist das Kaufen eines Döners eigenwirtschaftlich. Zweitens, wäre der Weg zur Lebensmittelbeschaffung vermeidbar gewesen, anders als beispielsweise der Gang zur Toilette. Es wird angenommen, dass sich der Arbeitnehmende etwas hätte mitnehmen können.

Übrigens, hätte sich Ivan stattdessen etwas in der betrieblichen Kantine am Firmengelände geholt, wäre der Weg dorthin versichert gewesen.

Arbeitsunfälle vorbeugen

Ein Arbeitsunfall zieht zahlreiche Folgen nach sich: In jedem Fall muss der Unfall gemeldet und protokolliert, Gefahrenquellen untersucht und Präventationsmassnahmen eingeleitet werden. Im Streitfall kommt es zudem zu erheblichen Gerichtskosten und schweren Imageschäden des Unternehmens.

Doch selbst wenn es sich um keinen Arbeitsunfall handelt: In vielen Fällen ist die Folge, dass der Dienstnehmende verhindert ist und das Unternehmen Produktivätsverluste in Kauf nehmen muss. Daher gilt bei jeder Art von Unfall im Arbeitsbereich: Prävention ist besser als Intervention.

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